A Magical Gal.

WandaVision und die Dimensionen der Witchiness

von Marie Malina

Ein Fingerschnipsen hier, ein paar animierte Comicsternchen da – und schon fühlt man sich zurückversetzt in eine Zeit, in der charmante TV-Hexen sich ihren Hausfrauenalltag ein Stückchen einfacher zauberten. Als WandaVision im Januar 2021 erschien, sorgte die Serie für einen Hype, der wohl zu einem großen Teil aus ihrem Spiel mit der Nostalgie zu erklären ist. Gefüttert mit Verweisen auf alte Fernsehserien von Bewitched oder Bezaubernde Jeannie bis Malcom in the Middle und Modern Family ändert sich jede Folge der komplette Stil der Serie, samt Intro und Werbung. Doch die rasante Reise durch mehrere Jahrzehnte US-amerikanischer Familiensitcoms wird immer wieder von seltsamen bis unheimlichen Momenten unterbrochen – bis zu einem Bruch, der die Serie in den größeren Kontext des Marvel-Universums einordnet.

WandaVision ist eine Spin-Off-Serie, in der die Geschichte von Wanda Maximoff, gespielt von Elizabeth Olsen, und ihrem Partner Vision (Paul Bettany) über dessen Tod hinaus weiterverarbeitet wird. Das zu sagen ist nur ein Spoiler, wenn man keinen der Avengers-Filme gesehen hat, in denen die beiden zuvor auftauchen. Doch keine Sorge: Allzu viel Marvel-Vorwissen ist gar nicht nötig, um sich von WandaVision in den Bann ziehen zu lassen. Zumindest nicht am Anfang. Denn obwohl wir Wanda zuletzt in den Überresten eines Schlachtfeldes verlassen haben, taucht sie nun schlagartig im Schwarz-Weiß-Idyll einer 50er-Jahre-Fernsehserie auf. Und da scheint zunächst alles happily ever after – wären da nicht diese ständigen Glitches, die die Fassade bröckeln lassen. Manche würden vielleicht argumentieren, dass WandaVision ein stückweit seinen Zauber verliert, sobald eine in-universe-Erklärung für das Hin- und Hergezappe zwischen Sitcoms aus verschiedenen Jahrzehnten vorliegt und plötzlich eine fragwürdige Regierungsorganisation im Marvel-Gewand ihre Finger im Spiel hat. Das hier aber nur am Rande. Mich interessiert vielmehr, was die Serie an Zauber gewinnt – und zwar buchstäblich. Denn mit WandaVision wird Wanda Maximoff im Marvel-Universum wieder explizit zur Hexe. Die Frage ist: Was macht es mit einer Figur, wenn aus diffusen übernatürlichen Kräften plötzlich Magie wird?
Um die Verwandlung der Wanda Maximoff zu verstehen, muss man zunächst einen Blick in ihre Vergangenheit werfen. Denn die Figur wandelt als „Scarlet Witch“ schon seit Jahrzehnten durch das Comic-Universum. Dort tritt sie zum ersten Mal 1964 auf, zunächst als Antiheldin in den X-Men-Comics. Später wird sie Teil der Avengers und tritt mal als Superheldin, mal als Superschurkin und immer in verschiedenen Konstellationen mit einer Reihe von weiteren bekannten Comicfiguren auf. Einen großer Teil ihrer Geschichte nimmt die Beziehung zum Androiden Vision ein. Der Ursprung ihrer Kräfte wird dabei, genau wie ihre Familienverhältnisse, ständig umgeschrieben und neu erfunden: Ist sie einmal die Tochter einer Rom*nja Familie, stellt sich später heraus, dass X-Men-Bösewicht Magneto ihr eigentlicher Vater ist, nur damit diese Storyline dann wieder ganz aus der Geschichte gestrichen wird. Ihre Superkräfte sind einmal das Resultat einer Genmutation, die sie zur X-Men-Mutantin macht, dann wieder ist sie eine Hexe, die „Chaos Magic“ manipulieren kann. Auf der Leinwand werden sie und ihr Bruder Versuchskaninchen der Geheimorganisation HYDRA in den Avengers-Filmen. In dieser Version sind ihre telekinetischen Kräfte das Resultat des Kontakts mit einem „Infinity Stone“. Mit WandaVision wird die Figur nun erneut neu erfunden: Die Serie etabliert Wanda Maximoff wieder als Hexe und gibt ihr auch den Titel „Scarlet Witch“ zurück.

Diese Art, Unstimmigkeiten in einem fiktiven Universum auszubügeln, nennt man „retconning“. „Retcon“ steht für „retroactive continuity“ (also „rückwirkende Kontinuität“) und beschreibt eine Praxis, bei der nachfolgende Werke in einer fiktiven Reihe zuvor etablierte Tatsachen widerlegen, verändern oder schlicht ignorieren. Hinter der turbulenten Vergangenheit der Figur steht nicht zuletzt ein Kräftemessen großer Konzerne. So lizensierte der Marvel-Konzern in den 90ern die Rechte an der Figur an die Produktionsfirma 20th Century Fox. Als jedoch Pläne aufkamen, die Geschichte der Avengers und weiterer Marvel-Comicfiguren filmisch aufzuarbeiten, kam es zu einem Rechtsstreit zwischen beiden Firmen – wem gehören nun Scarlet Witch und ihr Bruder Quicksilver? Einig wurde man sich nur, indem Avengers und X-Men streng getrennt blieben – keine der beiden fiktiven Universen durfte von diesem Punkt an auf das jeweils andere verweisen. So erklärt sich, dass Wandas Geschichte als Mutantin in den Marvel-Filmen mit keinem Wort erwähnt wird. Also muss eine neue Origin- Story für die Figur her: die als „enhanced human“ statt als „Mutantin“. 2009 jedoch kaufte der Disney-Konzern Marvel Entertainment auf und erwarb 2017 schließlich auch 20st Century Fox. Jetzt, wo alle Charaktere unter dem gemeinsamen Dach des Megakonzerns versammelt sind, können sich auch wieder kleine Seitenhiebe erlaubt werden – etwa, dass Wandas Bruder in WandaVision plötzlich von Evan Peters gespielt wird, der damit seine Rolle aus der X-Men-Reihe wieder aufnimmt.

Dass die Figur mit WandaVision wieder zurück in ihre alte Rolle findet, könnte expliziter nicht gemacht werden. “This is chaos magic, Wanda. And that makes you the Scarlet Witch”, bringt es ihre Nachbarin Agnes auf den Punkt. Nicht nur, dass die Superheldin mit dieser Serie ihr Alter Ego samt klassischem Kostüm und Krönchen zurückerhält – in der Serie werden die verschiedenen Konnotationen dessen, was es bedeutet, eine Hexe zu sein, sehr explizit durchexerziert. Zaubert Wanda am Anfang der Serie noch mit Fingerschnipsmagie das Frühstück auf den Tisch, verteidigt sie am Ende sich und ihre Familie in einem Blitzgewitter-Showdown gegen böse Mächte. Dass Wanda dabei nicht irgendeine Superheldin ist, wird an jeder Ecke klargestellt. Die Serie bedient sich ganz explizit dessen, was man vielleicht als klassische Hexenästhetik bezeichnen könnte: dunkel verhüllte Gestalten, gemurmelte Verse auf Latein, ein Zirkel um einen Marterpfahl, entführte Kinder und verzauberte Tiere. Und wem es noch nicht deutlich genug war, der*die hat es spätestens mit einem Rückblick verstanden, der in Salem 1693 spielt.

Hexen sind beliebte popkulturelle Figuren und WandaVision nicht die erste Serie, die mit ein bisschen „Witchiness“ für den gewissen Gruselfaktor sorgen will. Doch wer über Hexen spricht, beschwört immer einen Diskurs mit herauf, der weniger mit Warzennasen und spitzen Hüten als mit der brutalen Verfolgung einer Bevölkerungsgruppe zu tun hat. Die Philosophin Silvia Federici schlägt in ihrem Buch „Caliban und die Hexe“ eine neue Lesart der Hexenverfolgungen im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert vor. Ihr zufolge dienten diese vor allem dazu, eine neue Gesellschaftsordnung zu festigen: Ein kapitalistisch-patriarchales System mit einem starren, zweigeteilten Geschlechtersystem, in dem unbezahlte Hausarbeit zur Aufgabe von Frauen wurde und Sexualität außerhalb von Reproduktion stark reguliert wurde. Federici zeigt außerdem die Verbindungen zu den Mechanismen des Kolonialismus auf und legt dar, dass eben nicht nur Frauen verfolgt wurden, sondern alle, die sich den neuen Regeln des Systems nicht unterwerfen wollten oder konnten. Wenn man über Hexen spricht, spricht man also eigentlich über eine gewaltwolle Geschichte, in der es um Subversion von patriarchalen und kapitalistischen Strukturen mit all ihren verschiedenen Mechanismen der Unterdrückung geht.

In ihrer Version der Hexendarstellung lässt Disney/Marvel die Hexenverfolgungen nur unspezifisch nachhallen. Von der möglichen subversiven Kraft des klassischen Archetyps bleibt dabei nichts übrig. Stattdessen greift die Serie auf ein altbekanntes Popkultur-Rezept zurück: Man nehme eine weibliche Figur, stelle eine zweite nebendran und lasse sie miteinander konkurrieren. Der große Plottwist der siebten Folge entlarvt Wandas kokette Nachbarin Agnes als Hexe Agatha Harkness, ein grimm’sches Ideal der Gruselhexe, die sich Wandas Kräfte einverleiben will und dafür vor nichts zurückschreckt. Auch Agatha ist kein neues Gesicht im Comic-Universum. Dort ist sie schon lange an Wandas Seite und dient ihr als Verbündete, Mentorin und Mutterfigur. In WandaVision jedoch wird sie um gut 100 Jahre verjüngt und zur Antagonistin transformiert – und gespielt von Kathryn Hahn auch schnell zur Fan-Favoritin. Egal welches Jahrzehnt, in jeder Situation hat sie einen frechen Spruch parat und sorgt für den Comic Relief. Agatha ist es auch, die Wandas Trip durch die Vintage-Serienlandschaft als das entlarvt, was es ist: Einen Stepford-Wives-Albtraum, in dem der schöne Schein wichtiger ist als alles andere. Das Aufeinandertreffen der beiden Figuren wird im finalen Showdown auf eine simple Dualität reduziert. Hier kämpft die gute Hexe gegen die böse Hexe, und nur eine kann gewinnen. Dabei ist es gerade Solidarität unter Frauen, die in der Geschichte der Hexenverfolgungen eine zentrale Rolle spielt. Jegliche Form der Gemeinschaft wurde radikal zerschlagen und gezielt Misstrauen unter Frauen gesät – gerade aufgrund ihres Potenzials zum Widerstand. WandaVision hingegen lässt Wanda als glorreiche Siegerin aus dem finalen Kampf hervorgehen. Sie hat die andere Hexe besiegt, die Traumata ihrer Vergangenheit überwunden und damit zu ihrer Macht zurückgefunden. Agatha hingegen wird als Strafe für ihre (relativ unspezifischen) Vergehen von Wanda zurück in den Käfig performativer Weiblichkeit gesperrt: Sie muss ab jetzt wieder ein Dasein als neugierige Nachbarin fristen.

Am Ende bleibt also die Frage, was von der Magie übrig ist, wenn man sie durch eine Marvel-Serie filtert. Hat WandaVision die Hexe befreit, nur um sie sofort wieder einzusperren? Nicht ganz: Die Marvel-typische Szene nach den Credits zeigt Wanda nun in einem Häuschen im Wald, fernab der Zivilisation, wie sie einen pfeifenden Teekessel vom Herd holt und in einem geheimnisvollen Buch Hexenrunen paukt. Doch wer von der Geschichte der Hexen weiß, stellt sich vielleicht eine ganz andere Frage: Was ist denn nun mit der dubiosen Regierungsorganisation, die Wandas Macht für ihre Zwecke missbrauchen will? Dass die Scarlet Witch plötzlich gegen die Militarisierung aufbegehrt, ist unwahrscheinlich. Wer sich eine etwas substanziellere Auseinandersetzung mit dem Hexendiskurs erwartet, dem*der sei die Scarlet-Witch-Comicreihe von 2015 empfohlen. Magie wird hier zum Politikum – und damit zumindest ansatzweise eine Auseinandersetzung mit verschiedenen Mechanismen der Unterdrückung a la Federici heraufbeschworen. Was die Leinwandversion von Wanda mit der Magie macht, die sie sich so triumphierend zurückerobert hat, bleibt weiterhin spannend. Doch eine Prophezeiung sei getroffen: Ein bisschen Witchiness darf man auch in Zukunft erwarten.

Marie Malina ist freie Journalistin und Lektorin. Sie verbringt zu viel Zeit im Internet und in Cafés und zählt dabei die letzten Tage des Patriarchats. Für die Sprosse schreibt sie, weil sie leidenschaftlich gerne Monologe über Filme und Serien hält, sie aber zu selten aufschreibt.