Zwischen Princess und Badass – Weibliche Selbstpräsentation auf Skates

von Luca Fasold

© Severin Wurnig

Rollschuhe erinnern an blutige Knie in der Kindheit, an die 80er und Disko, vielleicht auch an Kunstlauf in glitzernden Trikots. Tatsächlich gibt es aber auch heute eine große und vielfältige skatende Gemeinschaft, die durch soziale Netzwerke immer mehr Sichtbarkeit erlangt. Auffällig ist die hohe Zahl an weiblich gelesenen Rollerskater*innen, und wie sich diese präsentieren – mal herausgeputzt, mal blutig und dreckig, vereint in geschmeidigen Bewegungen und dem plötzlich drohenden Sturz.

Auf Instagram begegnen einem bunt gekleidete Menschen, meist junge Frauen, in mit Musik unterlegten und sorgfältig geschnittenen Videos und Fotos. Was die Abstandsregeln der Pandemiesommer als Trend beschleunigt haben, ist aber kein neu aufgetretenes Phänomen: „Jam Skating“, oder „Dance Skating“, ist in den Rollschuhdiskos der Schwarzen Communities in den USA seit Jahrzehnten populär. Hier führen Gruppen, Paare oder Einzelpersonen mal mehr, mal weniger komplexe Choreos auf, während sie sich in den Roller Rinks aneinander vorbeischlängeln. Im Internet hochgeladene Videoaufnahmen, zum Beispiel auf der Instagramseite „@roll_moduls“, geben Einblicke in diese Subkultur.

Im Gegensatz zu diesen Tänzer*innen müssen die erfolgreichen Skater*innen auf Instagram während ihrer Choreos keine Rücksicht auf den steten Strom der Rollschuhbahn nehmen. Ihre Tanzschritte bewegen sich in einem begrenzten Sichtfeld, das auch eine statische Kamera im Hochformat einfangen kann. Wenn die Skater*innen keine berollschuhte Kamera mitbringen, ermöglichen ihnen 360°-Kameras mit unsichtbaren Selfiesticks, auch bei Bewegung im Zentrum des Videos zu bleiben. Draußen, bei Sonnenschein, werden der Körper, die Kleidung und der Hintergrund zu wichtigen Teilen des im Internet verbreiteten Endprodukts. Unter Palmen und blauem Himmel bringen die jungen Frauen ihre schlanken Körper in sorgfältig durchdachten Outfits mit farblich passenden Skates in Pose. Durch einen Blick hinter die Kulissen machen sie sich für ihre Follower*innen nahbar: Ab und zu teilen die beliebten Instagrammer*innen einen Zusammenschnitt ihrer ‘besten’ Stürze und zeigen, dass auch sie verletzlich sind. Hier legen sie ein öffentliches Online-Tagebuch mit den dokumentierten Fortschritten an und erteilen Ratschläge an alle, die sich noch im wackligen Anfangsstadium befinden. Mit aufmunternden Botschaften und einfachen Anleitungen heißt die Community auch Anfänger*innen willkommen. Die Stars der Szene, zum Beispiel Oumi Janta (@oumi_janta) und Keon Saghari (@neonkeon), sind über die sozialen Medien auch international eng vernetzt.

Die eleganten Choreos und pastellfarbenen Outfits auf Instagram stehen im Kontrast zu einem anderen Rollschuhsport, der vor etwa 20 Jahren sein Revival hatte. Als Nischensportart ist Roller Derby der Öffentlichkeit wahrscheinlich nur durch Dokumentationen oder dem Spielfilm Whip it! (2009) ein Begriff. Roller Derby wurde in den USA der 70er und 80er für seine heftigen Zusammenstöße auf dem Track bekannt und beliebt. Anfang der 2000er entstand eine neue Generation, die von der queerfeministischen Punkbewegung beeinflusst war. Roller Derby wurde zu mehr als einem Sport und bietet seither Raum für eine Subkultur abseits von Heteronormativität und Gendernormen. Trotz vorhandener Herrenteams ist es primär als Frauensportart verbreitet. Wer als „Frau“ teilnehmen durfte, war zunächst umstritten. 2015 veröffentlichte aber die Woman’s Flat Track Derby Association (WFTDA) ein Statement, in dem sie explizit auch Trans- und Intersexmenschen in der League willkommen hieß.

Weiblichkeit erweist sich als identitätsstiftendes Attribut für eine Sportart, die mit weiblichen Stereotypen brechen möchte. Im Gegensatz zu den lässigen Tanzbewegungen im Rink der Roller Disco zelebrieren die Spieler*innen beim Roller Derby den Kampf, denn der Vollkontaktsport ist mit dem performativen Wrestling verwandt. Wie dort haben auch beim Roller Derby die Spieler*innen alternative Personas samt Derbynamen und schmücken sich vor Spielen und auf Fotos mit Kampfbemalung, Fischnetzstrumpfhosen und gefährlichen Grimassen. Die Logos zieren selbstbewusste und kampfbereite Frauen, deren Weiblichkeit im Pin-up-Stil inszeniert wird, eine Ästhetik des Sports, die immer wieder auftaucht. Die dargestellten Figuren haben lange Haare, geschminkte Augen und Lippen, sowie knappe und enge Kleidung. Diese Selbstpräsentation scheint notwendig, um die Sportart als weiblich zu markieren. Zum gefährlichen ‚Badass‘ wird diese Darstellung durch die gefletschten Zähne, das blaue Auge und den herausfordernden Blick.

Diese Bissigkeit ist natürlich teilweise Show: Im echten Spiel passt eine ganze Gruppe von Schiedsrichter*innen auf, dass sich alle an die Regeln halten, und die Community hilft sich auch teamübergreifend aus. Und während Fischnetzstrumpfhosen eine einfache Möglichkeit sind, das sportliche Outfit aufzupimpen, ist die Pin-up Ästhetik und das damit mitschwingende Schönheitsideal auf dem Track kein Thema. Denn Sportlichkeit hat beim inklusiven Roller Derby viele Gesichter. Stabile und breite Blocker*innen bauen mit Hüfte, Hintern und Oberkörper undurchdringliche Mauern. Leichtere Spieler*innen haben Schwierigkeiten, an diesen kompakten Kraftpaketen vorbeizukommen, dafür ist deren spitze Schulter eine fiese Geheimwaffe, die schmerzhafte blaue Flecken hinterlässt. Nein, sie würde nicht von ihrem Freund geschlagen werden, musste eine Teamkollegin bei ihrer Arbeit beteuern, sie spiele lediglich Roller Derby. Für die Spieler*innen sind die blauen Flecke eine sichtbare Auszeichnung für die Härte der Sportler*innen, die das weibliche Stereotyp von Schwäche untergraben.

Auch die Fearleaders Vienna, die männliche Cheerleadingmannschaft des Wiener Roller Derby Teams, will normative Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit hinterfragen, indem sie diese mit Ironie und Übertreibung aufdeckt. Die Mitglieder treten in knappen, türkisen Hotpants und mit Pompons auf, tanzen und posieren aufreizend und vereinen so Comedy und politisches Statement. Auf ihrer Webseite verkünden sie ihre Mission und den Grund für ihren Namen: „Fearleading bedeutet für uns, die Angst wegnehmen. Besonders von Männern. Angst, nicht stark genug zu sein, sich nicht männlich genug zu verhalten, nicht maskulin genug zu sein.“ Roller Derby bietet auf und abseits vom Track eine Plattform für diese Diskurse rund um Härte und Zärtlichkeit, Männlichkeit und Weiblichkeit.

Auch in Skateparks werden Vorstellungen von Weiblichkeit behandelt, wenn sich Skateboards, City Roller und Rollerskates die Rampen teilen. Die rollschuhfahrende, weibliche Minderheit bieten der männlichen Mehrheit die Stirn, ab und zu mit einem erkämpften Abend „for Rollerskates only“. Dass die wahre Absicht von Skateparkbesucherinnen teilweise angezweifelt wird, beweist die Bereitstellung von Merch mit der Ansage „Not here to flirt“. T-Shirts und Masken mit diesem Spruch werden von der Community „Chicks in Bowls“ (CIB) verkauft. CIB teilt außerdem Tipps für Neulinge, verkauft Zubehör für Rollschuhe und bietet eine Vernetzungsplattform für lokale Gruppen. Monatlich werden außerdem Skatetricks als Challenge gestellt, welche nach erfolgreicher Meisterung unter dem Hashtag #trickofthemonth in den sozialen Netzwerken geteilt werden. Hier ist die Handykamera eine notwendige Begleiterin. Schließlich lohnen sich stundenlange Versuche erst, wenn der Erfolg auf einem Foto festgehalten werden kann, ganz nach dem Motto: „Pics or didn’t happen“.

Ist es verständlich, dass man für solche Bilder auch ein cooles Outfit anhaben möchte? Ja, klar. Doch das gibt auch Einblicke in die gefährliche Kombination gesellschaftlicher Erwartungen an Weiblichkeit und Mutproben im Skatepark. Während männliche Skateboarder beim Stolpern einerseits von ihrem Skateboard abspringen können, andererseits sowieso mit meist längerer Kleidung vor Verletzungen geschützt sind, gehen die Stürze der leichtbekleideten Rollerskaterinnen schnell blutiger aus. Ein Problem, das sie mit weiblichen Stuntdoubles gemeinsam haben: Stuntfrauen sind einer erhöhten Verletzungsgefahr ausgesetzt, weil sie unter ihren kurzen Kleidern keine Schützer anziehen können. Glücklicherweise ist Schutzausrüstung bei Rollerskater*innen verbreiteter als bei Skateboarder*innen, die mehr Angst vor peinlichen Protektoren als vor einer Gehirnerschütterung haben. Doch auch zwischen den Schonern bleibt bei nackter Haut ausreichend Platz für einen Kuss vom Asphalt, dessen Schmutz gerne wochenlang unter der Haut bleibt. Hat man noch keine ernsthafte Verletzung erlebt, lockt der Adrenalinkick und reizt zum Sprung in die Halfpipe. Es sind Gefahr, Geschwindigkeit und Geschmeidigkeit, die das Rollerskaten so reizvoll machen. Die Omnipräsenz der Handykameras verstärkt den Druck, stets gut auszusehen, das Erfolgserlebnis wiederum den Wunsch, diese Momente festzuhalten.

Beim Rollerskaten wird Gemeinschaft einerseits über scheinbare Mühelosigkeit bei drohender Gefahr, andererseits über das Teilen der Pannen und Verletzungen geschaffen. Jamskater*innen und Parkskater*innen bleiben über die Grenzen des Internets hinaus in Verbindung, fordern aber gleichzeitig das ständige Teilen online. Diese Inhalte produzieren in ihrer Ästhetik neue Idealbilder von Weiblichkeit. Roller Derby wiederum versucht, sich von Geschlechternormen zu distanzieren, reproduziert diese dabei aber wieder. Auch hier ist es ein Schwanken zwischen Weiblichkeit und Gefahr, in das sich der Sport einzuordnen versucht. Wie kann man diesen Widersprüchen begegnen? Durch Selbstbestimmtheit, durch sportlichen, nicht ästhetischen Konkurrenzkampf, durch Gemeinschaft auch abseits von Online-Communities. Alles in allem: Ein Balance-Akt auf Rollen.

Luca Fasold ist viel in Europa unterwegs, um über Kinderliteratur zu diskutieren. Besonders stolz ist sie auf ihre Unerschrockenheit beim Fahrradfahren und die blauen Flecken vom Roller Derby. Für die Sprosse schreibt sie, weil sie das Kaffeepausenphilosophieren in Konstanz vermisst.