»look right through me say i’m gloomy«

MTV’s Daria und der Zynismus der 90er-Jahre

von Laura Dürrschmidt

Schrille Gitarren und eine nasale Frauenstimme im Intro, Riot-Grrrl-Vibes. Auch wenn die Band Splendora an der Ostküste aktiv war und nicht im westlichen Bundesstaat Washington, wo Bikini Kill, Sleater-Kinney und Co. die fantastischen Rebel Girls ihrer Zeit besangen. Primärfarben-Palette, alles ist hart und kantig. You’re standing on my neck, am Ende das resignative, aber auch selbstsichere Ich-hab-die-Welt-verstanden-sie-ist-scheiße-Lächeln einer Protagonistin, bei der mimetisch viel mehr als das auch nicht geht – das ist Daria, ein Relikt aus der seltsamen Zeit, als MTV noch weniger Reality-Shows und mehr Cartoons produziert hat, mit dem noblen Ziel, die Jugendkultur von einst möglichst divers abzubilden. Als im Music-Television tatsächlich noch Music lief, als zwei infantile Cartoon-Kiffer die Welt im Sturm eroberten. Und Daria gab es eben auch – auch wenn das im deutschsprachigen Raum beinahe völlig in Vergessenheit zu geraten sein scheint.

Ihre Existenz verdankt Daria ironischerweise eben diesen beiden immer kichernden Schwachmaten, denn sie war ursprünglich ein Nebencharakter in der zweiten großen Erfolgsserie von Mike Judge neben King of the Hill, Beavis and Butthead. Als Schulkameradin der beiden bildete sie den Gegensatz, den die Serie brauchte, the Foil, clever, unabhängig, durchschauend. Und letztendlich cool genug für ihren ganz eigenen Cartoon, den nicht Mike Judge, sondern Glenn Eichler und Susie Lewis Lynn letztendlich als Spin-Off auf den Weg brachten. Von 1997 bis 2002 wurde Daria im US-amerikanischen Original auf MTV ausgestrahlt. Fünf Staffeln, zwei abendfüllende Filme, eine Menge trockener Humor. Der Inhalt: Daria ist sechzehn, trägt schwere Springerstiefel und eine runde Brille, sie ist klug, wahrscheinlich sogar hochbegabt, und sie begegnet den Umständen ihrer Existenz, und auch dem in der Serie überall vorherrschenden Zeitgeist der 90er-Jahre, mit schnödem Zynismus und vage amüsiertem Desinteresse. Um das alles überhaupt aushalten zu können. Daria ist Außenseiterin. Bis auf Punk-Freundin Jane Lane, mit der Daria sich Folge für Folge lockere, trockene Schlagabtäusche liefert, ist sie Einzelgängerin, hat in der sozialen Hierarchie ihrer irgendwo im spießigen Heartland gelegenen Kleinstadt kaum Anknüpfungspunkte, kein Ansehen, und will auch nichts davon haben. Wenn Daria gezwungen ist, sich selbst zu beschreiben, fällt regelmäßig das Wort Alienated. Definition: Feeling that you have no connection with the people around you or that you are not part of a group.

Was man schnell versteht, wenn man Darias Schul-, Familien- und Liebesleben auf einer Case-of-the-Day Basis verfolgt, ist: Zwar nicht für ihr Umfeld in der Serie, aber zumindest für den Zuschauer ist Daria cool. Cool, niemals eiskalt.

Die Art und Weise der 90er, starke Frauen, gar Feministinnen in Film und Fernsehen abzubilden, ist so eine Sache. Ein reges Bemühen, weibliche Charaktere aus der familiären, emotionalen Rolle herauszuholen, die sie so lange innehatten, aber auch ein heftiges am-Ziel-vorbeischießen. Frauen und Mädchen werden gern mal als eiskalte, ruppige, verbitterte Zicken dargestellt, die den (meist bis immer) männlichen Protagonisten zunächst einen heftigen Laufpass nach dem anderen verpassen, um dann letztendlich doch in ihre Arme zu sinken, denn – auch starke, unabhängige Frauen wollen tief im Inneren nur festgehalten und geliebt werden. Auch wenn sie kratzen und beißen und sich ihre Stärke und Unabhängigkeit vor allem in völlig überzogenen Gemeinheiten äußert. Beispiele dafür sind Robin Williams’ Love Interest in Patch Adams und auch Kat Stratford in Zehn Dinge, die ich an dir hasse (wobei wir das auch Shakespeare verdanken. Thanks, Billy.) Die Figur Daria aber entgeht diesem Schema. Denn Daria ist nicht gemein, auch nicht inhärent abweisend. Ihren Gegenspielern in der Serie – allen voran ihrer kleinen Schwester Quinn und den klischeehaften, mal mehr mal weniger absichtlich gemeinen Cheerleadern und Football-Spielern – kommt sie in Momenten der Not immer wieder mit Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft entgegen, auch, wenn sie dafür im Nachgang nur Abweisung erntet. Und die Freundschaft zu Jane ist ihr letztendlich wichtiger, als ihre erste richtige Liebesbeziehung. All das macht Daria cool. Daria unternimmt nichts, um anderen nachhaltig zu schaden, denn Daria ist in erster Linie eine Beobachterin. Und was sie beobachtet sind die Um- und Missstände ihrer Zeit, der späten 90er und frühen 00er-Jahre.

Die 90er gelten – vor allem in den USA – als eine Zeit, in der Zynismus als Geistes- und Welthaltung eine nie da gewesene gesellschaftliche Akzeptanz erreicht hatte. Der Zerfall des Ostblocks, der allmähliche Aufstieg des Internets, ökonomischer Wohlstand (zumindest für eine Seite des sozio-ökonomischen Grand Canyons, dessen Schlucht bis heute wohl täglich tiefer wird). Mediale Reizüberflutung, der Zenit des Fernsehens als Medium, ein ständiges Auf und Ab der popkulturellen Trends. Eine Dekade der Selbstbezogenheit und Oberflächlichkeit, des schier endlosen Konsums, die erst mit den Anschlägen vom 11. September ein schlagartiges Ende zu nehmen schien. Interpretiert wurde das als Tod eines American Dreams – falls er überhaupt wirklich gelebt hatte. Und inmitten all dessen die sogenannte Generation X, geboren in den späten 60er- bis frühen 80er-Jahren, die auf die konservativen, wohlstandstreuen Boomer folgte und zu der auch Daria gehört. Oberflächlich erschienen die Voraussetzungen der 90er-Teens gut, die Zukunft gesichert, ein ewiges Aufwärts, das sich in seiner plastikhaften Anmutung in einem Großteil der Popkultur dieser Zeit wiederfindet: Der große Teenager Rom-Com Boom der 90er und frühen 00er Jahre, High School-Sitcoms, die sich um Popularitätswettbewerbe drehen und darum, wer den süßesten Jungen der Schule zum Prom begleiten darf, Familien, die sich zwar zwischen Corporate Culture und Privatleben zerreißen müssen, am Ende aber immer zueinander finden. Alles die Elemente einer Dekade, die gern als „decade of triviality“ bezeichnet wird. Und auch Daria präsentiert sie alle, stapelt sie säuberlich vor dem Zuschauer auf, um sie dann von der smarten Protagonistin Folge für Folge dekonstruieren zu lassen, während sie mit „Coffee and TV“ ihre Zeit auf der schnöden High School totschlägt. Und im Fernsehen läuft natürlich nur eine einzige Sendung mit dem programmatischen Titel „Sick Sad World“. Ist klar.

Daria ist eine Außenseiterin, sowohl im sozialen Konstrukt des fiktiven Lawndale, aber auch im Narrativ selbst. Denn die Handlungsstränge vieler Folgen finden zu einem Großteil ohne ihre direkte Einwirkung statt, schicken Daria in die Rolle der Zeugin, der Kommentatorin, der Stimme aus dem Abseits. Für eine Protagonistin ist sie oft erstaunlich passiv – während ihr Vater am Corporate America scheitert und den Konflikt mit dem eigenen Vater, einem Vietnam-Veteranen, nicht aufarbeiten kann, ihre Schwester sich blindem Konsum und oberflächlichen Beliebtheits-Contests hingibt, ihre Girlboss-hafte Mutter, eine Anwältin, Job und Familie nie richtig vereint bekommt und in bester Ally McBeal-Manier dabei so richtig die Nerven verlieren kann, während die beste Freundin Jane dann eben doch hin und wieder den falschen Jungs verfällt und Darias eigenes romantisches Interesse halbherzig versucht, der nächste Kurt Cobain zu werden, steht Daria daneben und bezeugt. Natürlich nicht, ohne sich ausführlich über die Absurditäten ihres Alltags lustig zu machen. Und ganz nebenbei stellt sie druckreife Analysen an, so zum Beispiel in der Folge The Lost Girls über den in den 90ern inflationär gebrauchten Begriff edgy, der sich auch in unserer heutigen Jugendkultur herumtreibt.

As far as I can make out, "edgy" occurs when middlebrow, middle-aged profiteers are looking to suck the energy - not to mention the spending money - out of the "youth culture." So they come up with this fake concept of seeming to be dangerous when every move they make is the result of market research and a corporate master plan

urteilt Daria in der Folge The Lost Girls (1999) – natürlich erst, nachdem sie um eine Definition gebeten wurde. Und das zu einer Zeit, als das Konzept der „edginess“ durch Animationsserien wie South Park, Videospiele wie Mortal Kombat, und das sogenannte Dark Age of Comic Books durchaus marktfähig geworden war.

Daria als Zeugin eines Zeitgeists, als Stimme einer allgemein anerkannten Vernunft – dieses Konzept schleicht sich durch jede Staffel, nimmt verschiedene Ausmaße an. Missstände im Umgang mit jungen Menschen und der entsprechenden Popkultur werden ebenso angesprochen wie Materialismus, Rassismus, Sexismus, von der Heteronorm abweichende Sexualität, Mental Health-Issues und die Chancen und Gefahren des aufkommenden Internets – all das und mehr findet Erwähnung, sogar Erläuterung und Dekonstruktion, und in Daria stets eine kluge und wenig emotionale Beobachterin, die sich politisch aber nie näher positioniert. Wobei Daria natürlich immer noch sechzehn ist, immer noch die Fehler einer Sechzehnjährigen macht, keineswegs als eine Mary Sue inszeniert wird, die über den Dingen steht, sondern bei aller Intelligenz und Beobachtungsgabe in Liebes- und Freundschaftsangelegenheiten altersgerecht jedes Fettnäpfchen mitnimmt. Reiner Social Commentary ist die Serie also nicht, reine Satire ebenso wenig. Aber mit explizit älteren, intellektuell-orientierten Jugendliche als Zielgruppe (wahrscheinlich all jene, die für Beavis und Butthead zu edgy waren, let’s be real) sticht sie hervor zwischen anderen Cartoonserien ihrer Zeit, in ihrem Humor, ihrer Message, ihren Charakteren und Themen. Und diese Form von Sonderstatus muss nicht immer ein Segen sein.

Wohin ist Daria verschwunden? Zugegeben: Vielleicht umgibt etwas explizit US-Amerikanisches die Serie, das dem deutschsprachigen Raum nicht so gut verkäuflich war wie etwa Beavis and Butthead. Denn während Letztere auch in Deutschland Kultstatus genießen und hin und wieder einen Re-Run auf Comedy Central (zu später Sendezeit, aber immerhin) genehmigt bekommen, ist Daria aus dem kulturellen Gedächtnis der Deutschen scheinbar verschwunden. Nur die ersten 35 Episoden wurden überhaupt auf Deutsch synchronisiert, liefen ab 1998 auf MTV Germany und landeten kurzzeitig sogar auf RTL II, bevor sie vom Angesicht der Welt scheinbar spurlos verschwanden. Auffindbar sind diese Folgen nämlich nicht mehr in den Weiten des Internets. Auch wenn die Serie eine gewisse Fangemeinde gehabt zu haben scheint, wenn man einmal Internetforen aus den frühen 00er-Jahren durchforstet: „Ich find Daria schwer genial (mein Wunschhumor) aber ich mag die Synchro garnicht!!“ [sic!] urteilt ein Eintrag vom 09.10.2002 auf comicforum.de.

So who killed the Video Star? Eine unpassende Synchro? Ein zu starker Fokus auf die Widrigkeiten von Außenseitern im Corporate America der 90er? Ein Humor, der nicht überall ankam? Sich nicht übersetzen ließ? Oder gar die 90er selbst? Es ist und bleibt schwer zu sagen, warum sich Daria gegen die Simpsons und Co. in dieser Cartoon-Blütezeit nicht hat durchsetzen können. Festgehalten werden kann nur – gerechtfertigt war es nicht. Denn trotz ihrer enorm zeitgenössischen Brille hat die Serie in ihrer Art, Teenager und ihr Weltverständnis ernst zu nehmen, jungen Außenseitern eine (monotone) Stimme zu geben, etwas Zeitloses, das von ebenso zeitlos-trockenem Humor getragen wird. Und wir brauchen eine Serie wie Daria. Das hat inzwischen auch die deutsche Medienlandschaft zumindest in Ansätzen kapiert, denn schrägerweise wurden ausgewählte Folgen von Daria inzwischen auf dem Youtube Kanal von MTV Deutschland hochgeladen. Ohne deutsche Synchro, dafür aber mit ziemlich peinlich übersetzen Titeln („Daria im Karton!“ Aua. Aber na ja.). Und Comedy Central zieht ebenfalls nach. Nicht umsonst ist ein Remake namens Jodie in Arbeit, das mit Darias Schulkameradin Jodie Landon glücklicherweise eine Person of Colour zur Protagonistin haben und sarkastische Beobachtungen zu Um- und Missständen der heutigen Zeit aufbieten wird. Ob Daria ohne Daria funktioniert, bleibt abzuwarten. Ob es auch im deutschsprachigen Raum diesmal einschlagen können wird, ebenso. Immerhin: Synchronisationen, gute Fernsehslots und MTV haben inzwischen allesamt an Bedeutung verloren, sie werden Daria nicht mehr im Weg stehen. Etwas durchaus Revolutionäres wurde dem Format der Serie auch damals von deutschsprachigen Fans zugetraut, wie ein weiterer Foreneintrag zeigt: „Daria ist als Chara vielleicht ein bisschen überzogen (das ist ja auch das Tolle an ihr), aber wenn die Welt ein bisschen diese Selbstironie und Intelligenz hätte dann würden z.B. solche idiotischen Sachen wie der Irakkrieg nicht passieren“ [sic!]. Ob Daria den Irakkrieg hätte verhindern können? Sehr bestreitbar. Kann aber diskutieren werden. Next, on Sick Sad World.

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